Schaut man sich den Eintrag für H. P. Lovecraft auf IMDB an, so hat dieser inzwischen über 250 Nennungen als Autor, davon keine einzige zu seinen Lebzeiten. Nur 25 dieser Bearbeitungen seines Werkes stammen aus den Achtziger Jahren oder früher, von 1990 an schiessen sie in die Höhe, das allermeiste davon Amateur- oder Studentenproduktionen von zumeist zweifelhafter Qualität.
Bis zum heutigen Tag gibt es keine ikonische Lovecraft-Verfilmung, seine Geschichten, welche erst Jahrzehnte nachdem er als fast gänzlich unbekannter Autor verstarb wiederentdeckt wurden und die verdiente Anerkennung fanden, gelten als fast unmöglich filmisch umzusetzen. Die Gründe dafür sind mannigfaltig, einerseits sind viele Erzählungen sehr atmosphärisch, mit ellenlangen Passagen detaillierter Beschreibungen von sowohl Konkretem wie auch Abstraktem; aber auch die Erzählstruktur passt sich fast kaum an die starren Anforderungen eines Drehbuches an.
Die erste Verfilmung einer Lovecraft-Geschichte, „The Haunted Palace“ entstand 1963, über ein viertel Jahrhundert nach dem Tod des Autors. Es handelt sich dabei um eine Bearbeitung der Geschichte „The Case of Charles Dexter Ward“, welche innerhalb einer Reihe von Edgar-Allan-Poe Verfilmungen durch den legendären B-Movie Regisseur Roger Corman und mit dem ebenso unvergesslichen Vincent Price in der Hauptrolle entstand. Nachdem Cormans vorangehende Filme auf Grundlage der Erzählungen von Poe bereits gute Erfolge erzielt hatten, wollte er etwas neues probieren und wendete sich deshalb Lovecraft, welcher selbst Poe zu seinen Einflüssen gezählt hatte, zu.
Allerdings blieb von der ursprünglichen Geschichte wenig mehr, als einige der wesentlichen Handlungspunkte. Vor allem die Stimmung des Filmes, welcher in einen Rahmen von klassischem „Gothic Horror“ versetzt ist, ist merkbar anders, klar auf der Linie der Poe-Verfilmungen (sicherlich auch, weil die Kulissen alter Schlösser und nebliger Wälder immer wiederverwendet wurden).
Ähnlich verhält es sich mit zwei weiteren Verfilmungen aus den 60er Jahren, beide mit Horror-Legende Boris Karloff als Hauptdarsteller, „Die, Monster, Die“ von 1965 auf Grundlage der Geschichte „The Color out of Space“ und „The Crimson Cult“, Bearbeitung von „The Dreams in the Witch House“. Obwohl diese Filme schon anfangen, sich an das Wesen der Lovecraft-Geschichten anzunähern, so sind sie noch immer als klassische B-Horrorfilme im alteingesessenen Stil ausgelegt.
(Es kommt noch hinzu der Film „The Shuttered Room“ von 1967, mit sehr bescheidenem Budget in England gedreht, welcher allerdings eine Bearbeitung einer posthumen Geschichte ist, die wohl nur fragmentarisch Lovecraft zuzuschreiben ist und später von seinem Alumnus August Derleth verfasst wurde.)
„The Dunwich Horror“ entsteht 1970 als chronologisch fünfte Lovecraft-Verfilmung und ist eine markante Neuausrichtung gegenüber der vorangehenden Filme. Statt alten Schlössern und schaurigen Villen in oder aus alten Zeiten sind die Schauplätze, nunmehr zeitgenössisch, die fiktive Miskatonic-Universität, eine verschlafene Ortschaft nahe der Küste sowie das Anwesen der Hauptfigur Wilbur Whateley; und einer der ersten bedeutsamen Handlungspunkte dreht sich um das Necronomicon. Der Film ist ganz bewusst auf die markantesten Elemente von Lovecraft ausgelegt und behält auch erstmals den Titel der verfilmten Geschichte.
„The Dunwich Horror“ ist nach keiner Metrik ein besonders guter Film, und ebensowenig eine einwandfreie Bearbeitung. Obgleich einige der wesentlichen Elemente grosse Prominenz erhalten, ist die Handlung relativ frei umgesetzt: Ist die Hauptfigur Wilbur Whateley in der Erzählung ein unnatürlicher, entstellter Albino von geringem Intellekt, so ist er im Film ein charmanter junger Mann, welcher um an seine obskuren Ziele zu kommen die attraktive Nancy Wagner verleitet, eine Figur die gänzlich für den Film erfunden wurde.
Jedoch ist an all diesen teils sehr tiefgreifenden Änderungen der ursprünglichen Geschichte eine klare Ausrichtung nach den Erfordernissen klassischer filmischer Dramaturgie ersichtlich: Vielschichtige Hauptfiguren, ein romantisches Handlungselement, eine wechselwirkende Figurenkonstellation, Veräusserlichung des Konfliktes, konventionelle Drei-Akt-Struktur, usw.. Alles, was an der Erzählung abgeändert wurde, folgte dem übergeordneten Ziel, einen wirkungsvollen Film zu produzieren. Denn die Konventionen und Prinzipien, welche der filmischen Erzählstruktur zu Grunde liegen, sind nicht, wie in der Neuzeit oft kolportiert, willkürlich erfundene Regeln, sondern die logische Auskristallisierung dessen, was nötig ist, um in den begrenzten Dimensionen des filmischen Mediums einen für den Zuschauer verständlichen und verdaulichen Inhalt zu schaffen.
Es ist womöglich letzteres, was in manchen Kreisen, die Lovecrafts Literatur hoch schätzen, nicht ganz verstanden wird, wenn diesem Film unterstellt wird, eine schlechte Bearbeitung zu sein. Wie zuvor schon erwähnt, sind die Lovecrafts Erzählungen schwer zu verfilmen, weil sie nicht diesen Anforderungen entsprechen. Was in der Schrift problemlos funktioniert, gar eine sehr eigenwillige Erhöhung der Genreliteratur darstellt, wird nicht unbedingt gleichwertig auf der Leinwand wirken. Aus diesem Grund müssen bei den meisten Literaturverfilmungen markante Abstriche gemacht werden, die oftmals sehr wesentliche Teile des ursprünglichen Werkes verändern, um dafür aber die Essenz zu destillieren. Genau das ist das Meritum von „The Dunwich Horror“.
Obgleich aller Veränderungen erhält der Film die Essenz der Lovecraft-Erzählung: Die Atmosphäre vom unwirklichen, unbeschreiblichen Grauen, welches im Verborgenen auflauert, das okkultistische (statt gotische) Übernatürliche, und die Schauplätze der arkanen Miskatonic-Universität und des zeitgenössischen amerikanischen Hinterlandes, welches, fernab vom Kosmopolitismus der grossen Städte, archaische Geheimnisse verbirgt.
„The Dunwich Horror“ ist vielleicht nicht nach üblichem Massstab ein herausragender Film, aber er ist ohne Zweifel die erste von ganz, ganz wenigen herausragenden Lovecraft-Verfilmungen.